Grüner Wasserstoff und Mieterstrom im Quartier.
von Anna. - Lesezeit: 3 Minuten
Die Wasserstofferzeugung in einem innerstädtischen Quartier ist bisher einmalig. Dabei bietet hier ein sektorenübergreifendes Energiekonzept die Chance, die Effizienz des Wasserstoff-Elektrolyseurs zu steigern. Der Energie-Nutzungsgrad erhöht sich im Beispiel-Quartier in Esslingen von 55 bis 60 % auf über 80 %.
Wasserstoff-Erzeugung kurz erklärt.
Die Erzeugung von Wasserstoff und seine Bedeutung sind in aller Munde, aber wie funktioniert das nochmal? Im sogenannten Elektrolyseur wird durch elektrochemische Prozesse Wasser in seine Grundbestandteile Wasserstoff und Sauerstoff getrennt. Die elektrische Energie wird in chemische Energie umgewandelt und im Wasserstoff gespeichert.
Für die Elektrolyse braucht es Energie. Und die Frage, welche Energiequellen zur Herstellung genutzt werden, entscheidet über die Klimafreundlichkeit des erzeugten Wasserstoffs.
Hinweis: Wasserstoff wird gerade in der Industrie auch über Reformierungsverfahren etwa von Erdgas gewonnen. Fossile Energieträger bestehen aus Kohlenstoff-Wasserstoff-Ketten, denen in mehreren Schritten Wasserstoff entzogen wird.
Blauer, grüner, türkisener und grauer Wasserstoff.
Der Herstellungsprozess entscheidet wie gesagt über die Klimafreundlichkeit des Wasserstoffs und damit über seine Bezeichnung. Wird zur Elektrolyse, also zur Trennung von Wasser (H2O) in Wasser (H2) und Sauerstoff (O2), erneuerbare Energie genutzt, ist es grüner Wasserstoff. Grau ist er, wenn fossile Energien genutzt werden. Allerdings sind das dann pro erzeugter Tonne Wasserstoff auch 10 Tonnen CO2. Mit dem Adjektiv blau wird Wasserstoff bezeichnet, wenn das entstehende CO2 abgeschieden und gespeichert wird. Und türkis ist Wasserstoff, der über die thermische Spaltung von Methan hergestellt wird.
Das Wasserstoffziel der Bundesregierung.
Mit einer Nationalen Wasserstoffstrategie will die Bundesregierung Deutschland in Zukunft zum Vorreiter und langfristig Marktführer in Sachen Wasserstoff machen. Insbesondere auf der Entwicklung zur Herstellung von mehr grünem Wasserstoff liegt der Fokus. Aber auch regulatorische Bedingungen und Unterstützung von Forschung und Entwicklung stehen im Fokus.
Wasserstoff im Quartier: Grün und vielfältig einsetzbar.
Die grüne Wasserstoffgewinnung bietet sich dort an, wo lokal Energie erzeugt und nicht komplett genutzt werden kann. Im Rahmen der Energieversorgung von städtischen Quartieren wird mit Photovoltaikanlagen Strom erzeugt. Energie, die nicht direkt vor Ort von den Bewohner:innen benötigt wird, sogenannter Überschussstrom, kann dann in Wasserstoff umgewandelt werden – ein sogenanntes Power-to-Gas-Verfahren.
Der erzeugte grüne Wasserstoff kann vielfältig genutzt werden:
- zur Wärmeversorgung, indem er in das öffentliche Erdgasnetz eingespeist wird und so die Energiewende im Gasmarkt und die Dekarbonisierung unterstützt. Dabei ist ein netzdienlicher Betrieb des Elektrolyseurs besonders vorteilhaft für die Energiewende.
- zum „Tanken“ an Wasserstoff-Tankstellen geleitet werden, für Brennstoffzellen-Fahrzeuge von Privatleuten, von Flottenbetreibern (z.B. Mobility-Sharing-Anbieter, kommunale Fahrzeuge) oder von Unternehmen.
- für Wasserstoff-Abfüllstationen, wo er auch von der Industrie abgeholt werden kann.
Und bei Bedarf lässt sich Wasserstoff auch wieder rückverstromen, sprich der Prozess wird quasi umgekehrt. Wenn also nachts oder bei Schlechtwetter wenig Photovoltaikstrom lokal erzeugt wird, kann aus dem Wasserstoff in Brennstoffzellen oder Blockheizkraftwerken wieder Strom erzeugt werden, Stichwort Gas-to-Power.
Großer Vorteil der Wasserstofferzeugung im Quartier.
Bei der Elektrolyse geht typischerweise viel Energie in Form von Wärme verloren. Das senkt den Wirkungsgrad eines Elektrolyseurs erheblich. Wird der Elektrolyseur im Quartier eingebracht, kann hingegen diese Abwärme direkt in der Nahwärmeversorgung genutzt werden. Das hebt den energetischen Nutzungsgrad von rund 55 bis 60 % auf über 80 %.
Pilotprojekt in Esslingen: Energieversorgung mit PV-Anlagen und Wasserstoff.
In Esslingen entsteht ein klimaneutrales Stadtquartier. Auf einer Fläche von 100.000 m2 werden rund 500 Wohnungen, Büro- und Gewerbeflächen sowie ein Neubau der Hochschule Esslingen errichtet. Die Energieversorgung wird sektorenübergreifend aufgesetzt und im Sinne eines Smart Grids vernetzt. Das Ziel ist eine hohe Energieautarkie aus selbst erzeugter lokaler Produktion. Der Ökoenergieversorger und Mieterstrom-Dienstleister Polarstern verantwortet die Mieterstromversorgung und treibt als Mehrheitsgesellschafter der Green Hydrogen Esslingen die Erzeugung und Integration von grünem Wasserstoff voran. Weitere Teilhaber sind die Stadtwerke Esslingen (SWE) und Prof. Dr. M. Norbert Fisch.
Die Besonderheit im Esslinger Quartier ist, dass die Wasserstofferzeugung und -versorgung direkt im Wohnquartier erfolgt. Auch ist die Energiezentrale mit dem Elektrolyseur und Wasserstoffspeicher unterirdisch eingebracht.
„Wir zeigen einen Weg, wie auch die volatilen erneuerbaren Energien netzdienlich in ein Versorgungssystem eingebunden werden können. Der Energieträger Wasserstoff spielt hierbei eine entscheidende Rolle – und mit Hilfe der Green Hydrogen Esslingen werden wir nachweisen, dass die Produktion von ‚grünem Wasserstoff‘ auch auf Quartiersebene alltagstauglich umsetzbar ist.“ – Professor Dr. M. Norbert Fisch, Teilhaber der Green Hydrogen EsslingenMieterstrom mit Polarstern umsetzen.
Gefördertes Projekt
Das gesamte Projekt "ES-West-P2G2P" ist eines von sechs Leuchtturmprojekten, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aus mehr als 60 Bewerbungen ausgewählt wurde. Damit erhält es eine Förderung im Rahmen des Förderschwerpunktes „Solares Bauen / Energieeffiziente Stadt“, gesamtes Fördervolumen liegt bei 150 Millionen Euro. Ziel ist es, Lösungsansätze zu entwickeln für breit anwendbare Vermarktungsoptionen von grünem Wasserstoff. Dabei wird eine automatisierte, datensichere und transparente Abwicklung der Vermarktungsprozesse auf der Ebene des Microgrids im urbanen Raum in der Praxis getestet. Das Steinbeis-Innovationszentrum Energie-, Gebäude- und Solartechnik (EGS) koordiniert das Projekt und arbeitet mit mehreren Partnern an der Umsetzung des Konzepts.
Mehr zum Quartier Lok.West erfahren.Fakten zur grünen Energieversorgung des Esslinger Quartiers.
Basis des klimafreundlichen Quartiers sind energieeffiziente Gebäude, die eine hohe Qualität beim Wärmeschutz aufweisen, sprich mit einem niedrigen Energiebedarf und zugleich hohen Wohnkomfort überzeugen. Insgesamt soll rund 50 % Einsparung gegenüber der Energieeinsparverordnung erreicht werden. Lok.West erhielt bereits 2011 das goldene Vor-Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB).
Die Energieversorgung selbst beinhaltet folgende Aspekte:
- Auf den Gebäudedächern wird eine rund 1.600 kWp Photovoltaikanlage installiert. Sie versorgt über die Mieterstromversorgung die Wohnungen und Geschäfte mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen.
- Die Wärmeversorgung erfolgt mit Wärmepumpe (200 kWth), einem bivalenten Blockheizkraftwerk (Erdgas 300 kWth, H2 138 kWth), das den Wasserstoff bei Bedarf auch rückverstromen kann, und einem Gas-Spitzenlastkessel. Auch sind in einzelnen Wohngebäuden des Quartiers Blockheizkraftwerke eingebracht, die mit Ökogas aus 100 % erneuerbaren Energien betrieben werden.
- Ein Elektrolyseur mit der Leistung von 1 MWel nimmt überschüssig erzeugte Strommengen aus den PV-Anlagen und den BHKWs des Quartiers ab, die nicht direkt zur Versorgung benötigt werden.
- Die bei der Elektrolyse entstehende Abwärme wird in das Nahwärmenetz des Quartiers gespeist. Das hilft den Heizenergiebedarfs der Gebäude zu decken und steigert die Effizienz der Quartiersversorgung.
- Weitere zentrale Stromspeicher überbrücken kurzzeitige Abweichungen zwischen erneuerbarer Erzeugung und Energiebedarf im Gebäude- bzw. im Quartiersstromnetz.
- Lokal erzeugter Strom wird auch zur Versorgung von Ladestationen für Elektrofahrzeugen der Bewohner:innen genutzt.
Perspektivisch können auch Überschüsse an erneuerbarer Energie von extern, beispielsweise aus Windparks von der Schwäbischen Alb, in Form von Wasserstoff gespeichert werden.
Was bringt die Wasserstofferzeugung?
- Bei rund 4.500 Vollbenutzungsstunden und einer systemdienlichen Betriebsweise erzeugt der Elektrolyseur rund 2.800 MWh grünen Wasserstoff pro Jahr.
- Dabei entstehen rund 600 MWh/a nutzbare Abwärme.
- Täglich werden 400 Kilogramm Wasserstoff produziert; und pro Jahr rund 85 Tonnen grüner Wasserstoff.
- Rund 400 wasserstoffangetriebene Autos können so 100 Kilometer fahren.
Wusstest du’s? Der Elektrolyseur zur Wasserstoffversorgung ist immer eine Maßanfertigung, entsprechend der Einsatz-Bedürfnisse. Und damit waren allein zwei Jahre Vorarbeit nötig für Simulation, Planung, Auslegung, Anfertigung und TÜV-Prüfung. Der Wasserstoffspeicher alleine ist knapp 9 Tonnen schwer und hat eine Länge von 9,8 Meter und einen Durchmesser von 2,1 Meter.