Nicht klimafreundlich: Die Wahrheit über Erdgas.
von Michael. - Lesezeit: 5 Minuten
Wie Erdgas der Energiewende zuspielen soll.
Ausgerechnet ein fossiler Brennstoff soll die Energiewende unterstützen: Erdgas. Unter den fossilen Brennstoffen ist es der emissionsärmste und soll in Deutschland die Stromlücke schließen, wenn bis 2038 die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Denn Erdgas eignet sich nicht nur zur Wärmebereitstellung, sondern auch zur Stromerzeugung, emittiert dabei aber rund 40 % weniger CO2 pro Energieeinheit als Kohle, wie es das Global Carbon Projekt angibt. Eine Umstellung auf 100 % erneuerbare Energien wird bis 2038 nicht drin sein, so gesehen ist Erdgas eine nachvollziehbare Notlösung. Außerdem sind erneuerbare Energien vom Wetter abhängig. Spielt es nicht mit, ist die Stromausbeute geringer. Auch dieses Loch soll Erdgas stopfen.
CO2-Ausstoß der Energieträger im Vergleich*.
Energieträger | Erdgas | Heizöl | Fernwärme | Braunkohle | Steinkohle | Strommix | Holz |
---|---|---|---|---|---|---|---|
CO2: g/kWh | 246 | 317 | 304 | 442 | 427 | 550 | 10-27 |
* Gemeint sind CO2-Äquivalente inklusive Vorketten der Energieerzeugung.
Quelle: Umweltbundesamt, 2019.
Warum Erdgas trotzdem nicht klimafreundlich ist.
Erdgas könnte den Treibhauseffekt des Energiesektors um 40 % erhöhen.
Erdgas erweist der Energiewende einen Dienst, zur grünen Energie sollte man es aber nicht verklären. Im Gegenteil. Seine Klimabilanz ist nur besser, wenn man auf die CO2-Emissionen sieht. Hauptbestandteil von Erdgas ist jedoch Methan. Und dieses erwärmt die Luft noch stärker als CO2. Laut Energy Watch Group (EWG) kann der Treibhauseffekt von Methan je nach Zeithorizont 34- bis 86-mal größer sein als der von CO2. Die Befürchtung der Energy Watch Group: Würde man den Strom- und Wärmesektor von Kohle und Öl lediglich auf Erdgas umstellen, könnte sich der Treibhauseffekt des Energiesektors um bis zu 40 % erhöhen. Andersrum ließe sich mit einer Reduzierung des Methanausstoßes die Erderwärmung verlangsamen.
Warum der Erdgasverbrauch zunehmen könnte.
Deutschland investiert in neue fossile Strukturen.
Zumindest in Deutschland rechnet das Umweltbundesamt nicht mit einem zunehmenden Verbrauch von Erdgas, auch wenn es als Übergang verstärkt zum Einsatz kommt. Nach einer Modellrechnung des Amts wird der Gasverbrauch in Deutschland bis 2050 deutlich zurückgehen. Schafft Deutschland sein ambitioniertestes Klimaschutzziel, die Treibhausgase bis 2050 um 95 % gegenüber 1990 zu senken, könnten sogar ein Drittel der Gasverteilnetze stillgelegt werden – um 20 %, wenn die Treibhausgasemissionen um 80 % gegenüber 1990 reduziert werden.
Gleichzeitig investiert das Land in neue fossile Gasinfrastrukturen. So sollen in Brunsbüttel, Wilhelmshafen und Stade LNG-Terminals entstehen. Das Kürzel steht für Liquefied Natural Gas, also Flüssiggas. Bisher bezieht Deutschland Gas vor allem aus Russland und Norwegen über Pipelines. Der Bau der neuen Terminals würde den Markt für Flüssiggas öffnen. Daran haben vor allem die USA ein Interesse, die ihre Gasüberschüsse aus der Fracking-Förderung nach Europa verkaufen wollen.
IEA: Weltweiter Erdgasverbrauch könnte bis 2030 um 35 % steigen.
Die Internationale Energie Agentur IEA sieht in dem Überschuss auch einen Grund für wachsende Verbräuche und Emissionen. Bereits 2018 waren die CO2-Emissionen durch Erdgas im Vergleich zum Vorjahr um 2,6 % angestiegen, und bis 2030 rechnet die IEA mit einem Anstieg des Erdgasverbrauchs um 35 %. Die Fördermethode ist besonders umstritten. Hier wird sehr viel Methan freigesetzt, Grundwasser kontaminiert und Land vernichtet, außerdem steigt das Risiko für Krebserkrankungen und Erdbeben. In Deutschland ist Fracking seit 2016 deshalb außer zu wissenschaftlichen Zwecken mehr oder minder verboten. Auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse will die Bundesregierung 2021 eine Entscheidung treffen, wie es hierzulande mit der Schiefergasförderung weitergeht. Mit den geplanten LNG-Terminals sieht es zumindest so aus, dass sie ein Interesse hat, es zu importieren.
Europa sitzt auf Erdgas.
Zu einem Erdgas-Boom könnte auch Europa beitragen. Seit 2015 ein italienische Energiekonzern vermutlich ein Drittel des weltweiten Erdgasvorkommens im östlichen Mittelmeer entdeckt hat, herrscht bei den Anrainerstaaten Goldgräberstimmung. Zypern, Griechenland, Italien, Ägypten, Jordanien, Israel und die Palästinensischen Autonomiegebiete haben sich zur Eastern Mediterranean Gas Forum zusammengeschlossen, um gemeinsam den „Schatz“ zu heben. Eine spannende Konstellation. Wirtschaftsminister Peter Altmeier schwärmt bereits vom friedensstiftenden Potenzial der Unternehmung. Wie der Deutschlandfunk berichtet, zeichnen sich aber jetzt schon Spannungen ab. Zum Beispiel zwischen Zypern und der Türkei, das dem Forum nicht beigetreten ist.
Warum die Verfügbarkeit von Erdgas ein Problem ist.
Noch mehr Erdgas wäre vor allem ein Problem für die Energiewende im Wärmemarkt. Denn was der Markt wirklich braucht, ist ein Ausbau von erneuerbaren Energien. Ihr Anteil lag 2018 laut Umweltbundesamt gerade mal bei 14,4 %. Und die Deutschen können sich ohnehin schon so schwer von ihrem Erdgas trennen. Laut einer aktuellen Studie im Auftrag des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW möchte jeder zweite Eigenheimbesitzer (weiterhin) mit Erdgas heizen. Im Moment heizen laut Heizspiegel 2019 derzeit rund 48 % der Deutschen mit Gas.
Nur 4 % der Ökogasangebote aus erneuerbaren Energien.
Eine wachsende Verfügbarkeit von fossilem Erdgas könnte sich auch auf das Angebot von guten Ökogasprodukten auswirken. Es ist ohnehin schon mager. Nur 4 % der Angebote sind wirklich zu 100 % aus erneuerbaren Energien. 14 % sind Mischprodukte aus fossilem Erdgas und einem kleinen Biogasanteil, was so ungefähr so sinnvoll ist wie eine Eierschachtel, in der nur ein Ei bio ist. 26 % der Ökogasangebote sind Klimatarife und zu 100 % nicht sinnvoll. Denn hinter diesem Biogas steckt einfach nur: Erdgas. Es darf als Biogas verkauft werden, weil sich Energieversorger dazu verpflichten, das ausgestoßene CO2 mit Klimaschutzprojekten zu kompensieren. Aber so unterstützt man als Privatkunde nur die weitere Förderung von fossilem Erdgas, nicht die Energiewende.
Wie du echtes Ökogas förderst.
Zwei Dinge kann man als Privatperson gegen die Entwicklung unternehmen. Erstens, Ökogas aus 100 % erneuerbaren Energien beziehen. Zweitens, sich für den Austausch des Heizsystems stark machen.
1. Zu echtem Ökogas wechseln.
Der Wechsel zu echtem Ökogas ist einfach und sicher, und erspart beispielsweise einem 120-m2-Haushalt bereits ca. 3,5 Tonnen CO2 im Jahr. Bei Polarstern findest du eines der wenigen Ökogasprodukte, das zu 100 % aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. Unser Wirklich Ökogas wird – je nach Tarif – aus Abfall- und Reststoffen oder pfanzlichen Quellen bezogen. So oder bekommst du bei uns ausschließlich 100 % Biogas – keine halben Sachen.
Jetzt CO2-Ersparnis berechnen2. Sich für bessere Heizsysteme stark machen.
12 Millionen Heizungen in Deutschland sind laut Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie älter als 20 Jahre, also völlig ineffizient. Bei einem Austausch wählen die meisten Immobilienbesitzer trotzdem wieder eine Gasheizung. 2018 betraf dies 85 % der neu installierten Heizungen. Selbst im Neubau, der ohnehin aktuellen Effizienzstandards entspricht, sind zu einem Drittel Gasheizungen eingebaut. Wer einen Einfluss darauf hat, wie im Haus geheizt wird und sich für eine effizientere Lösung wie eine Wärmepumpte interessiert: Von der BAFA und der KfW gibt es jede Menge Förderungen. Wenn es nicht geht, und die Heizungen die alten bleiben, dann sollte wenigstens der Brennstoff stimmen, das heißt: hundertprozentiges Ökogas zum Einsatz kommen.
Billiges Erdgas? Falsche Rechnung.
Laut Energieberatung co2online zahlten Mieter 2018 im Durchschnitt für eine Kilowattstunde Erdgas 5,9 Cent und damit weniger als für Heizöl (6,8 Cent) und Fernwärme (8,9 Cent). Aber bei den Preisen für fossile Energie muss wie bei ihren Treibhauseffekten zweimal hinsehen. Die Erdgasförderung ist eine aufwändige und umweltschädliche Geschichte. Die Kosten dafür trägt die Allgemeinheit in Form von Umweltkosten. Das Umweltbundesamt hat berechnet, dass Erdgas Umweltkosten von 8,59 Cent pro Kilowattstunde verursacht. Zum Vergleich: Für die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom aus Wasserkraft rechnet das Umweltbundesamt mit Umweltkosten von lediglich 0,30 Cent.
Das bedeutet die CO2-Bepreisung für die Heizkosten mit Erdgas.
Auch die Folgekosten der CO2-Emissionen sind bislang nicht mit einkalkuliert. Laut einer Berechnung des Umweltbundesamts (UBA) verursacht eine Tonne CO2 Umweltkosten in Höhe von 180 Euro. Laut Bundesregierung hat Deutschland 2019 rund 805 Millionen Tonnen Treibhausgase verursacht. Nach der Berechnung des Umweltbundesamts wären dies also 144,9 Milliarden Euro. Das sind Summen, die bislang nirgends ausgewiesen sind, von der Allgemeinheit aber natürlich bezahlt werden müssen. Langfristig ist es also günstiger, in den Klimaschutz zu investieren, als ständig die Schäden durch fossile Energie zu fixen. Deshalb bekommt CO2 jetzt einen Preis. Ab 2021 wird eine Tonne CO2 aus fossilen Brennstoffen 25 Euro kosten. Ab 2025 soll der Preis auf 55 Euro angehoben werden.
Aber was bedeutet dies für die eigenen Heizkosten? Der Energiedienstleister Ista und die Technische Universität Dortmund haben auf Basis von 65.000 Heizverbrauchsdaten von Mehrfamilienhäusern berechnet, dass man in einer bundesdeutschen Durchschnittswohnung von 71 Quadratmetern mit einer Gasheizung 45,61 Euro mehr im Jahr zahlen müsste. Wenn der CO2-Preis pro Tonne ab 2025 auf 55 Euro angehoben wird, sind im Schnitt 100,34 Euro fällig.