Forschungsschiff Polarstern: Volle Kraft gegen die Klimakrise.
von Michael. - Lesezeit: 4 Minuten
Ohne die Klimaforschung wüsste die Menschheit vermutlich gar nicht, warum ihr immer öfters das Wasser bis zum Hals steht. So eine Dürre, ein Sturm oder Hochwasser, das gab's alle paar Jahrzehnte, nun treten die Jahrhundertereignisse in immer kürzeren Abständen auf. Warum? Diese Frage beantwortet die Wissenschaft. Sie zeigt auf, wie es um unseren Planeten steht, wie sich der Klimawandel entwickelt und sie arbeitet an den Mitteln, wie wir die Erde schützen können.
Die Arktis: Glaskugel der Menschheit.
Das Forschungsschiff Polarstern nimmt in der Klimaforschung einen zentralen Platz ein. Denn der Klimawandel ist kein vollgelaufener Keller, wo man nur die Treppe runtergehen muss, wenn man nachsehen will, wie schlimm es ist. Um sich ein Bild vom komplexen Klimasystem machen zu können, muss man schon weiter fahren. Zum Beispiel in die Polarregionen. In der Arktis schreitet die Klimaerwärmung laut Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) doppelt so schnell voran wie im Rest der Erde. Gleichzeitig lassen sich aus dem Klimasystem Arktis Schlüsse auf den Rest der Erde ziehen. Die Arktis ist die Wetterküche für Europa, Nordamerika und einem großen Teil von Asien. Was hier passiert, hat Konsequenzen für uns alle.
In die Arktis muss man aber auch erst mal kommen. Und man braucht Wissenschaftler:innen, die überhaupt verstehen, was die Natur uns sagen möchte. Dafür gibt es die Polarstern, das Forschungs- und Versorgungsflaggschiff des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI). Mit ihrem Stahlrumpf und rund 20.000 PS kann sich die Polarstern durch bis zu 1,5 Meter dickes Eis schieben und zu den Polen vordringen. Vor Ort ist das Schiff eine riesige, mobile Mess- und Forschungsstation und ein warmes Zuhause in einer der unwirtlichsten Regionen der Erde. Kälter ist es nur noch in der Antarktis. Die Polarstern ist über 300 Tage im Jahr unterwegs – und versorgt auf ihren Routen auch andere Forschungseinrichtungen wie etwa die Neumayer-Station III in der Antarktis. Je nachdem mit welchen Forschungsfragen die Polarstern ausrückt, wird sie mit dem wissenschaftlichen Equipment bestückt, das sie zur Beantwortung der Forschungsfragen braucht.
Mit Ökostrom rückst du aus gegen die Klimakrise.MOSAiC-Expedition: Fakten, die alarmieren.
Der wohl bislang wichtigste Einsatz der Polarstern war die MOSAiC-Expedition von September 2019 bis Oktober 2020. Es war die größte Polarexpedition aller Zeiten, mit dem Ziel, das Klimasystem der Arktis zu vermessen und zu verstehen, warum das Eis so schnell zurückgeht und welche Konsequenzen die Schmelze für das Klima der Erde hat. MOSAiC steht für Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate. Der Name ist Programm. Die Polarstern driftete nämlich wirklich. Sie ließ sich in einer riesigen Eisscholle festfrieren, um mir ihr einmal durchs Nordpolarmeer zu treiben. Solange, um einmal den gesamten Eiszyklus messen zu können – vom Gefrieren bis zum Schmelzen. Die Scholle bestimmte die Route und war solange, bis sie auseinanderbrach, das Forschungsgebiet der Polarstern.
Grafik: Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Wissenschaftler:innen aus 20 Ländern untersuchten das Eis, den Schnee, die Atmosphäre, das Wasser, den Grund. Begleitet von Eisstürmen, Dunkelheit, Flucht vor Eisbären und -40 °C. In einem Interview hat MOSAiC-Expeditionsleiter Markus Rex das Klimasystem mit dem Räderwerk einer Uhr verglichen. Die Forscher:innen haben die Uhr aufgemacht und einmal alle Komponenten studiert. Am Ende hatte die Polarstern mehrere 10.000 Proben und mehr als 150 Terabyte an Daten zusammen. Nun werden die Zusammenhänge auf der ganzen Welt untersucht. Den Datenschatz behalten die Forschenden nicht für sich, denn davon hat die Menschheit nichts. Aktuell entwickeln das Alfred-Wegener-Institut, das DKRZ Hamburg und das DLR Jena Analyse-Tools, mit denen zunächst die Wissenschaft, dann auch die Öffentlichkeit auf die Daten zugreifen kann.
Ist das schon das Ende der Arktis?
Expeditionsleiter Markus Rex stellten im Juni 2021 erste Ergebnisse auf einer Pressekonferenz in Berlin vor:
- Seit Beginn der Aufzeichnungen ist das Eis noch nie so schnell zurückgegangen wie zur MOSAiC-Expedition.
- Die Ausdehnung des Eises ist im Sommer nur noch halb so groß wie vor ein paar Jahrzehnten.
- Das Eis ist nur noch halb so dick wie vor 130 Jahren.
- Im Schnitt war es während der MOSAiC-Expedition zehn Grad Celsius wärmer als vor 125 Jahren.
Die Konsequenzen.
Wenn sich das Eis immer später im Jahr schließt, wird weniger Sonnenenergie reflektiert. Das Meer nimmt mehr Wärme auf und das Eis schmilzt noch schneller. Die Eisschmelze ist ein Kipppunkt im Klimasystem. Kipppunkte sind irreversible Klimaprozesse, die den Klimawandel beschleunigen und sich gegenseitig beeinflussen. Wenn etwa das Eis schmilzt, steigt auch der Meeresspiegel und schwächt die Zirkulation der Ozeane. Diese Zirkulation bestimmt, wer auf der Welt ein eher mildes, wer ein raues Klima abbekommt. Für Europa kann die Schwächung etwa eine Zunahme von Starkregen bedeuten. Wissenschaftler:innen der Polarstern gehen davon aus, dass die Arktis in wenigen Jahren im Sommer endgültig eisfrei sein wird. Ob dieser Kipppunkt vielleicht schon erreicht ist, lässt sich nicht zweifelsfrei sagen. Aber was die Wissenschaft sagen kann, ist, dass höchstens noch sehr wenige Jahre bleiben, um gegenzusteuern.
Mehr über die Kipppunkte erfahren"Wir haben stichhaltige Hinweise, dass die Erwärmung der Arktis zu den Dürresommern der vergangenen Jahre beigetragen hat und diese in Zukunft zunehmen werden. Gleichzeitig gelangt auch mehr warme, feuchte Luft aus den mittleren Breiten bis tief in die Arktis, wodurch sich das Abschmelzen des grönländischen Eisschilds beschleunigt. Diese Rückkopplungsmechanismen in der Arktis beobachtete ich mit großer Sorge."
– Professor Markus Rex im Interview auf der Website der Bundesregierung.
So retten wir die Arktis – und uns.
Wie muss das sein, als Wissenschaftler:in heimzukehren mit Erkenntnissen, die für alle Menschen von Bedeutung sind, nur um immer noch auf einen Teil der Gesellschaft zu treffen, der lieber an die Existenz von Echsenmenschen glauben möchte als an den menschengemachten Klimawandel. Schon vor wenigen Jahren hat der Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in einem Interview mit dem Magazin Meisterstunde gesagt, dass wir eigentlich genug wissen. Wir müssen einfach handeln.
Wir haben alle eine Aufgabe.
Die Aufgabe heißt CO₂ und andere Treibhausgase senken. CO₂ bremst die Abstrahlung der Wärme von der Erde ins Weltall – wie Ruß eben auch einen Abzug verstopft oder Haare den Abfluss. Wenn das Klimasystem wie das Räderwerk einer Uhr ist, wie es MOSAiC-Expeditionsleiter Markus Rex beschrieben hat, ist jede:r von uns ein Rädchen. Wir sind alle aufgerufen, dafür zu sorgen, dass die Uhr weiterhin funktioniert. Politik und Wirtschaft müssen handeln, aber sie tun es nur mit voller Kraft, wenn es Mehrheiten für eine konsequentere Klimapolitik gibt. Dein eigenes Handeln ist dafür ein ganz wichtiges Signal. Und es hilft wirklich, die Treibhausgase zu senken. Die wohl schnellste, einfachste und dabei wirkungsvollste Klimaschutz-Maßnahme ist der Wechsel zu Ökoenergie. Es ist eine gewöhnliche Online-Bestellung, die aber deinen CO₂-Fußabdruck schon um bis zu einem Viertel reduzieren kann.
Jetzt ausprobieren – hier geht's zum TarifrechnerVeränderung im Alltag.
Du hast aber noch mehr Stellschrauben in deinem Alltag, um CO₂ zu reduzieren. Fang simpel an: Steig öfters auf Rad oder in den Zug, kauf lieber Qualität als ständig halbe Sachen, die schnell kaputtgehen und die du eh nicht magst. Nutze Mehrwegverpackungen und iss mehr regionale und saisonale Lebensmittel. Unterstütze Organisationen wie Fridays For Future und Politiker:innen, die den Klimaschutz zur obersten Priorität machen. Denn ob es mit dem Planeten auf- oder abgeht, ist auch immer eine Folge von politischen Entscheidungen.
Mehr Menschlichkeit in der Wirtschaft.
Wirklich wirkungsvoll sind Maßnahmen, die an der Basis ansetzen, zum Beispiel an Wirtschaft und Konsum. Wir brauchen eine Wirtschaft, in der Ausbeutung und Umweltzerstörung nicht belohnt werden – auch nicht von uns als Konsumenten. Es gibt Alternativen. Immer mehr Unternehmen verschreiben sich einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft, in der Menschlichkeit und der Schutz der Natur oberste Priorität haben. Du findest diese Unternehmen zum Beispiel auf unserer Social-Business-Landkarte. Es gibt genug Gelegenheiten, wirklich etwas zu verändern. Nutzen wir sie!