Desinformation zur Wahl: Fakten-Check gegen falsche Parolen.
Windräder abbauen, „weil sie hässlich sind“ (Friedrich Merz) oder die „Windmühlen der Schande“ (Alice Weidel) gleich niederreißen - beides Zitate von namhaften Politiker:innen. Im Wahlkampf lassen sich Politiker:innen oft zu steilen Thesen und derben Aussagen hinreißen. Trotzdem sollten in der Diskussion Argumente und keine populistischen Behauptungen im Fokus stehen. Wir haben typische Behauptungen zur Energiewende gecheckt, damit du vor der Wahl besser mitreden kannst und die Fakten kennst.
von Ludwig. - Lesezeit: 6 Minuten
Atom- und Kohleausstieg: Wer was wann beschlossen hat.
Die Energiewende geht in vielen Bereichen gut voran. 2024 etwa war ein Rekordjahr für den Solarstrom-Ausbau, in Summe hat die Leistung der in Deutschland installierten Solaranlagen erstmals die Marke von 100 Gigawatt überschritten. Und auch der Windkraftausbau hat im vergangenen Jahr Fahrt aufgenommen. Auch hier gab es bei den Genehmigungen einen Rekord.
Trotzdem sehnen manche Politiker:innen die alten Zeiten mit rauchenden AKW-Kühltürmen und schmutziger Kohleverstromung herbei. Die Forderungen nach einer Rückkehr zur Kernenergie und mehr Kohleverstromung kommen vor allem aus dem konservativen Lager. Dabei hat den Atomausstieg die Union unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) selbst beschlossen.
Nach der Wahl 2009 gab es eine Koalition aus Union und FDP. Am 30. Juni 2011 beschloss der Bundestag schließlich, dass die bis dato letzten Atomreaktoren bis Ende 2022 abgeschaltet werden sollten. Acht Kernkraftwerke wurden bis dahin vom Netz genommen. Bei diesem Zeitplan blieb es, mit Ausnahme der letzten drei Atomkraftwerke. Ihre Laufzeit 2022 wurde aufgrund der Energiekrise durch den russischen Angriffskrieg um dreieinhalb Monate verlängert – von einer Regierung aus SPD, den Grünen und FDP. Am 15. April 2023 war dann endgültig Schluss mit der Kernkraft in Deutschland und die Meiler Emsland A, Isar 2 und Neckarwestheim 2 gingen offiziell vom Netz.
Unter Union und SPD: Bundestag beschließt Kohleausstiegsgesetz im Juli 2020.
Noch unter der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD wurde am 3. Juli 2020 der Kohleausstieg beschlossen. Mit 314 Ja- zu 237 Nein-Stimmen wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein „Kohleausstiegsgesetz“ angenommen.
Aktuell wird Deutschland – so der Plan – bis spätestens 2038, möglichst schon 2035, aus der Kohleverstromung aussteigen. Union, SPD und BSW wollen derzeit definitiv nicht vor 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen. Und CDU-Chef Friedrich Merz stellte den Kohleausstieg sogar jüngst wieder in Frage, wenn dieser die Wirtschaft gefährde. Der Klimaschutz dürfe nicht wichtiger sein als der Erhalt der Industrie in Deutschland, betonte Merz.
Dem Klimawandel dürfte das alles egal sein. Und: Die G7-Staaten, denen auch Deutschland angehört, haben sich auf einen Kohleausstieg möglichst bis zum Jahr 2035 geeinigt. Das ist ohnehin noch eine halbe Ewigkeit.
Warum Deutschland bei der Energiewende keinen „Sonderweg“ geht.
Wenn es um den Atomausstieg und die Energiewende im Allgemeinen geht, werden schnell Stimmen laut, die vom sogenannten „Sonderweg“ Deutschlands bei der Energieversorgung sprechen. Doch ein Blick über den Tellerrand zeigt, dass das nicht stimmt. Viele Industrienationen sind zum Beispiel längst frei von Atomkraftwerken oder haben sich ebenfalls für einen Ausstieg aus der Kernenergie entschieden. Klar, mit China, Frankreich und auch Polen gibt es Länder, die weiterhin stark auf Kernenergie setzen.
Von einem deutschen Sonderweg, wie ihn der Ökonom Hans-Werner Sinn beschreibt, kann nicht wirklich die Rede sein. In zig Ländern weltweit eilt der Ausbau von erneuerbaren Energien von Rekord zu Rekord – mit allen Wachstums-Wehwehchen, die so etwas mit sich bringt. Überschüssige Stromerzeugung, zu wenig leistungsfähige Stromtrassen und fehlende Batteriespeicher sind Probleme, die auch andere Länder kennen. Nicht nur Deutschland. Beispiele gibt es viele.
Griechenland: Dem Land ist es bereits 2022 gelungen, seinen Stromverbrauch an mehreren Tagen zu 100 % mit erneuerbaren Energien zu decken. Die Schattenseite: Oft gibt es ein so großes Überangebot an Wind- und Solarenergie, dass die Stromnetze instabil zu werden drohen und Anlagen abgeriegelt werden müssen, um einen Netzkollaps zu verhindern.
Chile: Trotz boomender Ökostromproduktion steigen in Chile die Strompreise teils drastisch, die Netze kollabieren. Das liegt daran, dass die erneuerbaren Energieanlagen aus Sonne und Wind oft dort stehen, wo niemand den Strom braucht. Leistungsfähige Stromtrassen zu bauen, und das auch noch über Tausende Kilometer, ist teuer und sorgt für steigende Strompreise.
Auch in den USA und China stockt die Energiewende teilweise wegen des hinterherhinkenden Ausbaus der Stromnetze. Allerdings haben beide Länder noch Atomkraft, China baut gerade reihenweise neue Reaktoren.
Klingt also irgendwie vertraut. Nichts mit Sonderweg. Energiewende bedeutet nicht nur, massenhaft PV-Anlagen und Windräder aufzustellen, sondern auch eine komplexe Transformation bei der Stromnutzung zu schaffen, indem wir Smart Meter und Batteriespeicher installieren und Trassen ausbauen.
Dunkelflauten: Viel Lärm um nichts?
Vor allem im Winter sind sie wie ein Schreckgespenst: Dunkelflauten. Damit sind Situationen gemeint, wenn längere Zeit kaum oder gar kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Dann sinkt die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf ein Minimum. An der Strombörse schießt der tagesaktuelle Day-Ahead-Strompreis in die Höhe, was insbesondere Verbraucher:innen mit flexiblen und dynamischen Stromtarifen betrifft. Wichtig zu wissen: Kund:innen mit normalen Stromtarifen sind von solchen kurzzeitigen Spitzen kaum betroffen, da sie vertraglich feste Arbeitspreise in ihren Stromtarifen haben. Dunkelflauten können also für Haushalte (aber auch die Wirtschaft) durchaus riskant sein, vor allem wenn sie länger und mehrmals in wenigen Wochen auftreten.
Allerdings gibt es zwei Punkte zu beachten:
1) Betrachtungszeitraum.
Die Zeiten, in denen dank viel erneuerbarer Wasser-, Wind- und Solarenergie günstiger grüner Strom zur Verfügung steht, überwiegen auf ein Jahr gesehen deutlich (sogar in manchen Wintermonaten). In der Regel kommt eine Dunkelflaute nämlich ausschließlich im Winter vor. Kurzzeitige Preisspitzen, die viele Politiker:innen und Parteien zurecht ansprechen, werden durch günstige Strompreise im Rest des Jahres ausgeglichen.
Das zeigen auch die beiden folgenden Grafiken des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme gut, zum Beispiel für die Monate November und Dezember 2024, als es kurzzeitig teurere Dunkelflauten im deutschen Strommarkt gab (zu sehen an der orangenen und roten Linie). Gibt es viel erneuerbare Energie im Stromnetz (grüne Fläche), sind die Strompreise günstig.
2) Prognosen und Batteriespeicher-Ausbau.
Dunkelflauten sind in der Energiewende eingeplant. Der Energieexperte Bruno Burger vom Fraunhofer ISE sagt dazu: „Die kommt jedes Jahr vor und ist in allen Energieszenarien eingeplant. Es ist nicht so, dass sie uns auf dem falschen Fuß erwischt.“ Und selbst bei einer Dunkelflaute seien Strompreise nicht den ganzen Tag so hoch, sondern nur in einzelnen Stunden.
Wenn Politiker:innen vor den Risiken bei Dunkelflauten warnen, liegen sie nicht falsch, denn die Risiken sind da. Der Fokus sollte sein, im großen Stil Batteriespeicher in Deutschland auszubauen und eine effiziente Stromnutzung zu unterstützen, um Dunkelflauten künftig besser überbrücken zu können. Und da tut sich inzwischen einiges.
Zum Jahresbeginn 2025 lagen den deutschen Übertragungsnetzbetreibern 650 Anschlussanfragen für große Batteriespeicher mit 226 Gigawatt vor. Das war nochmal deutlich mehr als im Herbst 2024. Zwar befinden sich die Projekte noch in einem sehr frühen Stadium, aber beim Batterie-Rollout geht es voran. Als Zeitpunkt für die Inbetriebnahme der Großspeicher sei überwiegend ein Jahr vor 2030 bei den Anfragen angegeben, bei einigen auch schon 2025 bis 2027. Ein heller Ausblick für Dunkelflauten.
Die Wahrheit über Stromimporte aus Frankreich.
Seit dem Ende der Atomkraft in Deutschland haben einige Parteien ein Lieblingsthema auf ihre Agenda genommen, das den angeblichen Irrweg der deutschen Energiepolitik zeigen und die Abhängigkeit Deutschlands belegen soll. Die Rede ist von Stromimporten aus Frankreich.
Was bei der Diskussion schräg erscheint, ist, dass Deutschland seit Jahrzehnten von Energieimporten abhängig war und ist. Zum Beispiel aus Russland, von wo wir jedes Jahr Unmengen an Gas bezogen haben, bis der Ukrainekrieg ausbrach. Fakt ist, dass Deutschland beim Strom 2024 mehr importiert hat.
- Innerhalb weniger Jahre ist Deutschland vom klaren Netto-Stromexporteur zum Netto-Stromimporteur geworden.
- Wie Zahlen der Fraunhofer-Plattform Energy-Charts zeigen, wurden insgesamt 28,3 Terawattstunden (TWh) Strom vom Ausland mehr eingekauft als dorthin veräußert.
- 2024 ergab sich folgende Reihenfolge der Stromimporteure nach Deutschland: Frankreich (12,9 TWh), Dänemark (12 TWh), Schweiz (7,1 TWh), Norwegen (5,8 TWh).
Viele Populist:innen interpretieren diese Zahlen so, dass Deutschland aus Stromknappheit importieren müsste. Weil zum Beispiel die erneuerbaren Energien angeblich zu wenig Strom liefern. Das ist falsch. Der Bezug von Strom aus unseren Nachbarländern bedeutet nicht, dass Deutschland ausländischen Strom für die Versorgungssicherheit zwingend braucht. "Wir importierten nicht aus Knappheitsgründen", sagt Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). "Wir hätten inländisch ausreichend Kapazität gehabt, die Stromnachfrage zu decken. Aber es ist das Ergebnis eines von uns gewollten europäischen Binnenmarkts. Dort, wo Energie günstiger erzeugt wird, wird sie auch gekauft."
Vielmehr ist der europäische Strommarkt ein offener und mehr oder weniger grenzenloser Markt, in dem die einzelnen Länder über Kabel und Trassen miteinander verbunden sind.
Importstrom günstigere Alternative als deutscher Kraftwerksmix aus Kohle und Gas.
Strom wird zu den Zeiten importiert, in denen der Strompreis in den Nachbarländern niedriger ist und die grenzüberschreitenden Leitungen ausreichend freie Kapazitäten aufweisen, um den Strom nach Deutschland zu leiten. Dadurch können Importe den Strompreis an der Börse zeitweise senken. Schließlich werden auch erneuerbare Energien vorrangig eingespeist.
Übrigens wird gerade erstmals eine direkte Stromverbindung zwischen Großbritannien und Deutschland gebaut, um Strom zu exportieren oder importieren. Die 725 Kilometer lange Untersee-Stromverbindung mit dem Namen NeuConnect soll in Zukunft für mehr Flexibilität beim Transport von erneuerbaren Energien sorgen und die Resilienz des europäischen Stromnetzes stärken. NeuConnect verbindet dann zwei der größten Energiemärkte Europas miteinander, die Endpunkte der Leitung sind Wilhelmshaven und Kent in Großbritannien. In Betrieb gehen soll die marine Stromleitung 2028 und ab dann bis zu 1,5 Millionen Haushalte mit Strom versorgen.
Windräder abreißen? So wichtig sind sie für die Energiewende.
Was nach einer Schnapsidee klingt, haben einzelne Politiker:innen, allen voran AfD-Chefin Alice Weidel, genauso formuliert. Weidel hatte auf einem Parteitag im Januar gesagt, "alle Windräder niederreißen" zu wollen und sie als "Windmühlen der Schande" bezeichnet.
1) Windenergie wichtigste Quelle für Deutschlands Stromerzeugung.
Was sie dabei völlig außer Acht lässt, ist der große Beitrag für die Energiewende, den die rund 29.000 Onshore-Windkraftanlagen erbringen.
Schaut man sich die Bilanz der Windenergie für den deutschen Strommix 2024 an, wird die Wichtigkeit der Windenergie für die Energiewende klar. Die Windkraft war 2024 erneut die wichtigste Stromquelle, sie trug laut Zahlen des Fraunhofer ISE 136,4 Terawattstunden (TWh) bzw. 33 % zur öffentlichen Stromerzeugung bei – mehr als Kohlekraft. Und auch in den Vorjahren war Windkraft mit Abstand die wichtigste Energiequelle für unseren Strom.
2) Deutschland bei Windkraftleistung weltweit auf Platz 3.
Und noch ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie fatal es unter wirtschaftlichen Aspekten wäre, Windräder "niederzureißen". Im internationalen Vergleich ist Deutschland ein führendes Windkraft-Land. Mit einer installierten Windenergieleistung von rund 69 Gigawatt ist Deutschland nach China und den USA das drittgrößte Land bei der Windenergieanlagenleistung.
3) Windkraftanlagen sind fast immer Privateigentum.
Windkraftanlagen sind fast ausschließlich im Eigentum von privaten Firmen oder privaten Bürgerinitiativen bzw. lokalen Energiegenossenschaften. Ein Abreißen ist also gar nicht einfach so möglich. "Von der rechtlichen Frage des Eigentums einmal unabhängig: 2024 kam knapp ein Drittel der gesamten Stromerzeugung Deutschlands aus Windkraftanlagen. Auch der AfD würde ein Blick auf die Fakten guttun", sagt Vattenfall-Chef Zurawski.
4) Hohe Akzeptanz von Windenergie.
Zudem hat Windkraft eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung hinter der Energiewende steht und Windenergie als sehr wichtigen Bestandteil betrachtet. Stehen Windenergieanlagen im eigenen Wohnumfeld, steigt die Akzeptanz deutlich, zeigt eine Forsa-Umfrage.
Welche Energie-Behauptungen oder Falschaussagen bewegen dich und sollen wir auf den Grund gehen? Schreib es uns an presse@polarstern-energie.de